Vertrauen schenken

Welchen Einfluss hat Vertrauen auf die Kultur einer Organisation und damit auf den Arbeitsalltag? In diesem Artikel schildern wir beide persönliche Erlebnisse damit. Zum Thema Vertrauen im Allgemeinen verweisen wir auf einen – aus unserer Sicht – sehr guten Artikel zu dem Thema, den wir nicht besser hätten formulieren können.

Selbst Steine in den Weg legen(?)

Ich, Michael, möchte ein Erlebnis aus dem Büroalltag in der Softwareentwicklung teilen und werde dies zum allgemeinen Verständnis so weit abstrahieren, dass jeder nachvollziehen kann, um was es geht.

Bei der Entwicklung von Software ist immer wieder sicherzustellen, dass Standards eingehalten sind und – nach Möglichkeit – keine Fehler im Programm enthalten sind. Dabei unterstützen mich verschiedene Werkzeuge, zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Entwicklung.

Bevor ich meine Programmänderungen teile, sollte ich die Prüfung auf Standards durchführen. Dies kann ich machen, oder auch nicht. Kollegen forderten nun eine automatische Prüfung der Standards und eine automatische Ablehnung der Freigabe für meine Änderungen, wenn diese nicht den definierten Standards entsprechen.

Das Ziel hierbei ist, dass in jedem Fall die definierten Standards eingehalten sind. Doch auf welchen Wegen kann ich dieses Ziel erreichen?

Der eine Weg ist tatsächlich eine fixe Kontrolle in das Entwicklungssystem einzubauen, an der ich nicht vorbei komme, wenn ich unsere Standards nicht einhalte. Klingt plausibel – Ziel erreicht.

Ein zweiter Weg ist, darauf zu vertrauen, dass jeder Entwickler einen entsprechend hohen Qualitätsanspruch hat und die Prüfung der Standards selbst durchführt.

Offensichtlich besteht beim zweiten Weg die Gefahr, dass jemand die Prüfung vergisst. Dazu gibt es ein Vier-Augenprinzip, ein sog. Code-Review. Hier kann mich ein Kollege darauf hinweisen, dass ich einen Standard nicht eingehalten habe oder mir einfach die Frage stellen, ob ich alle Prüfungen erfolgreich durchgeführt habe.

Aber wie viele Regeln und Kontrollmechanismen brauche ich tatsächlich? Wie viele davon sind mehr hinderlich oder unterstellen ein gewisses Menschenbild und gehen von gewissen Grundannahmen aus?

Was passiert ganz automatisch, sobald ich Kontrollmechanismen einführe? Ich denke bei meiner Arbeit „Da kommt ja noch die Kontrolle, also brauche ich nicht selbst zu prüfen, da wird mich schon noch jemand darauf hinweisen, wenn etwas nicht stimmt.“. Wenn ich aber genau weiß, dass meine Arbeit – um bei dem Beispiel zu bleiben – direkt vom Kunden genutzt wird, stelle ich mir eher die Frage „Was möchte ich abliefern? Für welches Ergebnis sehe ich mich verantwortlich?“.

Trotz der beschriebenen Gefahr, dass mal eine Prüfung vergessen wird, würde ich auf eine harte Kontrolle verzichten. Ich glaube daran, dass jeder sein Bestes gibt und unterstelle beim Vergessen der Prüfung keine böse Absicht.

„Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.“ Jean Paul Getty1

Die gute Vertrauensseele

Ich, Torsten, bin recht vertrauensselig. Sehr schnell schenke ich Menschen um mich herum das Vertrauen. Ich bin zwar auch kritisch und hinterfrage häufig Themen und Entscheidungen, aber nicht aus Misstrauen heraus, sondern weil ich glaube, dass ein kritischer Austausch zu einem besseren Ergebnis führt.

Ein Beispiel dazu ist in einem Urlaub passiert. Am zweiten Tag – ich hatte am ersten schon gleich Kontakt zu einer kleinen Gruppe gefunden – kam eine junge Frau in das Hotel in dem ich wohnte. Wir haben sie in unsere Gruppe aufgenommen und den Tag über mit Animationen und diversen Aktivitäten verbracht. Abends fuhr sie wieder in ihr Hotel. Das Spiel wiederholte sich am nächsten Tag nochmal. Wir hatten viel Spaß beim Volleyballspielen und Bogenschießen und all den anderen Animationen. Auch am dritten Tag war sie wieder da. Abends, als sie zurück in ihr Hotel wollte, meinte sie, sie hätte kein Geld für das Taxi dabei. Ich habe ihr daraufhin die 60 DM (ja, es ist schon lange her) gegeben.

Einer Frau, die ich gerade mal 3 Tage kannte? Von der ich nur den Vornamen wusste? Und von der ich nicht sicher sein konnte, dass ich das Geld je wiedersehen würde? Ja, dieser Frau habe ich das Geld anvertraut.

Wie ihr euch denken könnt, wurde mein Vertrauen nicht missbraucht. Zwar wurde ich zum Ende des Urlaubs hin ein wenig nervös (und habe mich auch nicht getraut, sie darauf anzusprechen), aber ich habe das Geld wiederbekommen.

Vielleicht war es dieses Erlebnis, welches mich so vertrauensselig hat werden lassen? Vielleicht aber auch mein aktueller Chef, bei dem ich selbst seit vielen Jahren vollstes Vertrauen genieße. Er teilt mir ein Ziel mit und ich darf schauen, wie ich es erreiche. Dabei lässt er mich nicht im Stich, wenn ich seine Unterstützung brauche, lässt mich ansonsten aber alleine schalten und walten, um das Ziel zu erreichen.

Von Vertrauen und Kontrolle

Sind das die beiden Pole? Wie richte ich mich dazwischen aus und was bedeutet Vertrauen und Bezug auf Kontrolle? Ein paar Gedanken dazu findet ihr in diesem Artikel:
http://www.hrweb.at/2016/09/vertrauen-ist-gut-ist-kontrolle-wirklich-besser-eine-veraltete-weisheit-im-lichte-des-neuen-arbeitens/

Vertrauen schenken ist ein Risiko

Dieses Gefühl welches ich dabei habe, dass man sich auf mich verlassen kann, ich aber nicht allein gelassen bin, wenn ich meinem Chef von einem Ergebnis meiner Entscheidungen berichte, möchte ich teilen. Auch andere sollen dieses befriedigende Gefühl verspüren.

Dabei mache ich mich natürlich angreifbar. Gebe ich jemandem mein Vertrauen, der es missbraucht oder auch nur enttäuscht, fühle ich mich verletzt – insbesondere dann, wenn mich die Folgen daraus direkt betreffen.

Das ist der Grund, warum wir uns oft davor scheuen, Vertrauen zu schenken. Lieber kontrollieren wir die Schritte und fordern Sicherheiten oder Zwischenergebnisse ein. Vertrauen entsteht langsam, es muss wachsen, sich entwickeln. Aber dabei muss einer den ersten Schritt machen. Einer muss das Risiko eingehen und Vertrauen schenken; und sei es nur ein kleines bisschen.

 

Links

[1] http://www.zitate-online.de/literaturzitate/allgemein/1313/wenn-man-einem-menschen-trauen-kann-eruebrigt.html

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