Was ist Wirklichkeit? Was ist real? Ist es das, was wir mit Hilfe unserer fünf Sinne wahrnehmen? Und ist es für alle Menschen gleich?
Angenommen, es gibt die eine Realität und wir Menschen sind mit unseren Sinnen in der Lage, diese immer gleich wahrzunehmen. Dann dürfte es im individuellen Erleben derselben Situation zwischen zwei Menschen keinen Unterschied geben. Beide haben exakt dasselbe gesehen in allen Details, gehört in allen Frequenzen, gespürt mit jeder Zelle des Körpers, gerochen in allen Nuancen und auch geschmeckt in vollem Spektrum. Klingt unwahrscheinlich?
Wieso erinnern wir uns an unterschiedliche Dinge, obwohl wir doch die selbe Situation erlebt haben? Wieso reden wir aneinander vorbei, sprechen vom selben und meinen doch etwas anders?
Schauen wir uns dazu drei Erklärungsversuche an.
Der Konstruktivismus[1] geht als Position der Erkenntnistheorie davon aus , dass ein Objekt durch das Subjekt (Betrachter:in) selbst konstruiert wird. Unsere Sinnesreize werden im Zentralnervensystem verarbeitet und für Gehirn umgewandelt. Damit speichern wir unsere Sinneswahrnehmungen nur indirekt ab. Wer hat schon einmal einen intensiven Traum erlebt? Bei einem spannenden Film herzrasen gespürt oder schwitzige Hände bekommen? Worauf reagiert unser Körper? Auf das, was im Gehirn entsteht – konstruiert wird. Egal ob in der Außenwelt erlebt oder im Kopf RE-konstruiert.
Vera F. Birkenbihl beschreibt in ihrem Inselmodell[2] das individuelle Erleben der Umgebung auf Basis von bisherigen Erfahrungen und Gedanken über die Zukunft. Wir wachsen mit unterschiedlichen Erlebnissen auf, welche uns prägen. Dazu zählt das soziale Umfeld, Bezugspersonen, Kulturen, Werte, Glaubenssätze uvm. Jeder lebt in(!) der eigenen Insel und wir gehen davon aus, für andere Menschen gilt dieselbe Insel und deshalb nehmen sie die Welt exakt identisch zu uns wahr.
Byron Katie hat mit der Methode The Work[3] aufgezeigt, dass es sich lohnt, die eigenen Gedanken und Glaubenssätze zu hinterfragen. Die erste von vier Fragen lautet „Ist das wahr?“. Können wir zu 100% unserem Gehirn vertrauen und uns sicher sein, dass das, an was wir uns erinnern, der Wirklichkeit entspricht? Oder geben wir den Dingen auch immer eine BE-deutung und interpretieren diese auf Basis unserer Erfahrungen, unserem aktuellen Zustand und halten genau dies für die Wirklichkeit?
Dass diese Erkenntnisse über die individuelle Wirklichkeit nicht neu sind, zeigt auch die alte hinduistische Philosophie Vedanta mit dem Ziel „[…]Aus der Wahrnehmung der scheinbaren, illusionären Welt herauszukommen[…][4]„.
Wenn es mir gelingt, diesen Gedanken zu denken, dass nicht nur ich selbst einzigartig bin, sondern auch die Welt auf eine einzigartige Weise wahrnehme, fällt es mir vielleicht leichter, die Inseln anderer Menschen zu akzeptieren und Brücken zu bauen, um diese Vielsichtigkeit wertzuschätzen.
Wirklichkeit ist das, was auch dann da ist, wenn wir Menschen nicht da sind. Ganz ohne BE-deutung. Nur Sein.
Referenzen
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_(Philosophie)
[2] https://youtu.be/lrh32N7G3ag
[3] https://thework.com/sites/de/the-work/
[4] https://wiki.yoga-vidya.de/Vedanta